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„Lebensmittel sind Mittel zum Leben und nicht zum Vernichten“

16.12.2024

Die Wirtschaftsbetriebe Kreis Coesfeld Gmbh (WBC) richtet ab 2025 eine jährliche Spende an die fünf Tafeln im Kreis Coesfeld. Im Zuge dieser Spende haben wir Heinz Öhmann, Vorsitzender der Tafel Coesfeld, zu Lebensmittelumverteilung, Kooperationen und Herausforderungen befragt.

 

Was treibt Sie an, sich für eine nachhaltigere Lebensmittelverteilung und gegen Verschwendung einzusetzen?

In Deutschland wurden nach Berechnung des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2022 Lebensmittel im Umfang von etwa 10,8 Mio. Tonnen vernichtet. Der Großteil der Lebensmittelabfälle ist mit 6,3 Mio. Tonnen in privaten Haushalten zu verzeichnen. Jeder Verbraucher wirft jedes Jahr etwa 76 Kilogramm Lebensmittel weg. Diese Zahlen habe ich einer Information des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft entnommen. Das empfinde ich als einen gesellschaftlichen Skandal. Und zeigt, dass jeder von uns etwas gegen die Vernichtung von Lebensmittel unternehmen kann. Eine Zahl ist in dem Zusammenhang noch wichtig, weil es auch uns als Tafeln betrifft: Im Handel werden vergleichsweise „nur“ 0,8 Mio. Tonnen (800.000 t) Lebensmittel als Abfälle vernichtet. Das überrascht zunächst, ist aber trotzdem für die Tafeln in Deutschland, und damit auch für uns in Coesfeld und im Kreis Coesfeld insgesamt ein konzentrierter Ansatz, um der Lebensmittelvernichtung effektiv entgegenzutreten. Schließlich sind Lebensmittel Mittel zum Leben und nicht zum Vernichten.

Wie hoch ist die vermiedene Menge an Lebensmittelabfällen durch Verteilung und Warenausgabe im Jahr 2024?

Hier möchte ich die Zahlen für die Tafel Coesfeld nennen, die als eine von über 970 Tafeln im gesamten Bereich der Baumberge aktiv ist. Die Tafel Coesfeld hat in Havixbeck (ab 2022), Nottuln (ab 2019) und seit Beginn vor 20 Jahren in der Kreisstadt, die auch die Orte Rosendahl und Billerbeck mit abdeckt, jeweils eine Ausgabestelle. Aktuell verzeichnen wir rund 800 sogenannte Bedarfsgemeinschaften. Eine Bedarfsgemeinschaft besteht durchschnittlich aus 2,4 Personen (Erwachsene oder Kinder), das ergibt eine Anzahl von 1.920 Personen, die grundsätzlich wöchentlich in die Ausgabestellen kommen und Lebensmittel erhalten. Unsere Überprüfung hat bestätigt, dass bei jedem Einkauf etwa 5 kg/Person Lebensmittel mitgenommen werden. Somit ist festzustellen, dass wöchentlich 9.600 Kg und bei 51 Wochen im Jahr (Weihnachtswoche ist geschlossen) insgesamt 489.600 Kg (489,6 t) Lebensmittel durch die Tätigkeit der Tafel im Gebiet der Baumberge vor der Vernichtung gerettet werden. Lebensmittel, die in einem guten Zustand, wirtschaftlich aber nicht verwertbar sind.

Wie bewerten Sie das Bewusstsein der Gesellschaft für Lebensmittelverschwendung? Was könnte Ihrer Meinung nach getan werden, um mehr Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren?

Die Antwort ist zweigeteilt. Ich weiß natürlich, dass viele Menschen schon darauf achten, keine Lebensmittel in die Mülltonne zu werfen. Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen, die bei uns als ehrenamtliche Helferinnen und Helfer tätig sind, auch in ihrem privaten Umfeld keine Lebensmittelverschwendung betreiben. Aber die großen Mengen, die ich oben genannt habe, zeigen, dass zu viele Menschen die „Mittel zum Leben“ noch zu wenig achten. Das ist vielleicht aber auch kein Wunder, wenn ich auf das „Mindesthaltbarkeitsdatum“, „MHD“ hinweise. Das MHD wird leider falsch verstanden. Der größte Teil der Lebensmittel wird weggeworfen, weil man durch das MHD den Eindruck bekommt, nach Ablauf des Datums sind die Lebensmittel nicht mehr gesund oder nicht mehr genießbar. Das ist völliger Irrsinn. Und die Lebensmittelgeschäfte nehmen die Produkte zum Teil deutlich vor Ablauf des MHD aus dem Regal. Viele Lebensmittel sind weit über das Datum hinaus genießbar und auch weiterhin gesund. Jeder sollte testen: sehen, riechen, schmecken. Dann kann jeder ziemlich treffsicher beurteilen, ob die Mittel zum Leben noch gegessen werden können. Eine Ausnahme möchte ich bewusst noch nennen: Dies gilt nicht für Fleisch und Fisch!

Welche besonderen Herausforderungen bringt die Weihnachtszeit für die Tafeln mit sich?

Kurz vor Weihnachten sind natürlich alle Kundinnen und Kunden gewillt, sich noch gut mit Lebensmitteln einzudecken. Somit ist der Bedarf ein besonderer. Gleichzeitig müssen wir unseren Ehrenamtlichen auch selbst eine geruhsame Advents- und Weihnachtszeit gönnen. Deshalb haben wir zwischen den Tagen und in den ersten Tagen des neuen Jahres geschlossen. Außerdem bekommen wir vor Weihnachten viele Spenden (u.a. Spielzeug für Kinder), die in besonderen Ausgabeaktionen an die vielen bedürftigen Kinder weitergegeben werden. Das ist ein großer personeller und logistischer Aufwand in unserer Tafel, aber eine große Freude bei den Kindern.

Heinz Öhmann

Statt Backwaren und Brötchen: Zur Weihnachtsausgabe sind die Regale gefüllt mit Geschenken für die Familien und Kinder.

 

Wie koordinieren Sie den Abholprozess mit den Supermärkten? Gibt es feste Abholzeiten, oder werden die Routen flexibel geplant?

Der Abholprozess wird durch die Betriebsleiterin in einem ständigen Anpassungsprozess organisiert. Da wir nicht nur Trockenware, sondern auch frische, gekühlte und gefrorene Ware aus dem gesamten Bereich der Baumberge, aber auch von Produzenten oder auch anderen Tafeln im Austausch aus Duisburg, Dortmund oder Everswinkel sowie aus Zentrallagern des Landesverbandes Tafel NRW erhalten, müssen wir entsprechende Fahrzeuge, aber auch entsprechend viele Kühltruhen und Kühlcontainer haben. Unsere Mitarbeitenden fahren mit drei besonders ausgestatteten Kühlfahrzeugen und einem kleineren Kasten-Fahrzeug die gespendeten Lebensmittel zum Tafel-Haus in Coesfeld. Dort werden sie aufbereitet und an bedürftige Kundinnen und Kunden ausgegeben, die regelmäßig ihre Bedürftigkeit auch nachweisen müssen. Große Warenlieferungen können wir aber auch in unser Lager im Industriepark-Nordwestfalen in Coesfeld-Flamschen bringen.

Wie stellen Sie sicher, dass die Lebensmittel so schnell wie möglich vom Supermarkt ins Lager transportiert werden, insbesondere bei empfindlichen oder verderblichen Waren?

Das ist natürlich mit besonderen Herausforderungen verbunden. Aber durch die vorhandenen Kühlfahrzeuge und Kühlcontainer ist es möglich, die gesetzlich geforderte Kühlkette einzuhalten. Dies wird im Übrigen auch in unregelmäßigen Abständen von der Lebensmittelkontrolle überprüft. Wir unterliegen den gleichen Bedingungen wie ein Lebensmittelgeschäft, mit dem Unterschied, dass nach Überschreiten des MHD und Überprüfung der Qualität die Lebensmittel auch noch ausgegeben werden.

Wie gut funktionieren Ihrer Meinung nach die Partnerschaften mit Supermärkten und anderen Lebensmittelspendern? Sollten Unternehmen stärker in die Verantwortung genommen werden, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden?

Ich bin sehr froh über die äußerst kooperative Zusammenarbeit mit praktisch allen, die uns Lebensmittel zur Verfügung stellen. Dazu zählen Landwirte, Obstbauern, die Lebensmittelgeschäfte vor Ort sowie der Lebensmittelgroßhandel und die Lebensmittelindustrie. Die genannten Unternehmen sind in den letzten Jahren stark bemüht, im Rahmen einer durchdachten Logistik Lebensmittelabfälle zu vermeiden. Gerade auch in der Zusammenarbeit mit uns als Tafeln können die Unternehmen zu einer Verringerung der Lebensmittelabfälle beitragen.

Reichen die gespendeten Lebensmittel zur Versorgung Ihrer Bedarfsgemeinschaften oder wären Sie über weitere Spenden dankbar?

Bisher ist es uns recht gut gelungen, ausreichend Lebensmittel für unsere Kundinnen und Kunden zu bekommen. Dazu haben wir in den letzten Jahren systematisch den „Markt“ nach möglichen Lieferanten abgesucht. Natürlich sind auch weitere Lieferanten dankbar, weil sie damit unsere Versorgungssicherheit erhöhen. Wichtig ist aber auch meinerseits festzustellen, dass die Kundinnen und Kunden bei uns keinen (Rechts-)Anspruch auf Versorgung mit Lebensmitteln haben. Was wir bekommen, geben wir weiter. Wir wollen keine Lebensmittel kaufen und dadurch den Umsatz des Handels steigern, die gleichzeitig noch überschüssige Lebensmittel wegwerfen. 

Warenlager Tafel Coesfeld
Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sortieren die Sachspenden für die Weihnachtszeit. Überschüssiges wird fürs nächste Jahr gut verwahrt.

 

Wie viele Helfende und Vereinsmitglieder hat die Tafel Coesfeld aktuell?

Aktuell sind 203 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bei der Tafel Coesfeld tätig. Etwa 40 Personen sind darüber hinaus noch Mitglied im Tafel-Verein. Wichtig ist dabei, dass sie jeweils nach ihren zeitlichen Möglichkeiten helfen und dies freiwillig machen. Die verschiedenen Teams organisieren ihren zeitlichen Einsatz untereinander. Das stärkt das Teamgefühl und beachtet deren individuelle Möglichkeiten. Gerade deshalb aber brauchen wir auch eine so große Zahl an Ehrenamtlichen. Wer also Interesse an einer ehrenamtlichen Teamarbeit hat, kann sich gerne bei uns melden (Tel. 0157 806 33907).

Mehr über die Tafel Coesfeld, sowie Ausgabezeiten finden Sie unter diesem Link.